Die Frau

mit den Beinen

"Es ist doch noch nicht Fünf." Wir wollen einkehren, kommen gerade vom Berg herunter und machen auf halber Höhe halt. Die Bar oder das Restaurant, was immer es auch sein mag, hat eine offene Tür, am Tresen steht diese alte Frau und weist auf die Uhr. Man hat noch nicht offen, aber sie nickt, als wir sagen, wir haben Hunger. Ob wir Käse wollten. Wir nicken dieses Mal. Sie lächelt, geht nach hinten und meint noch, wir sollten uns draussen einen Platz suchen. Auf der Wiese neben dem Baum, da wo zwei Liegestühle und eine Bank herumlungern, lassen wir uns fallen und schläfern in der Nachmittagssonne vor uns hin. Bis sie mühsam auf uns zu wankt. Mit einem Tablet auf dem Arm. Ihre Füsse. Sie hat beide stark eingewickelt. Zuckerkrank ist sie vermutlich. Durch die Binden sieht man an kleinen Stellen Blut sickern und das Weiss des Mulls einröten. Nicht viel, nur eine Andeutung davon. Aber es muss sie ständig schmerzen, nur sieht man das jetzt nicht. Ihr breites Gesicht lächelt glücklich, als sie uns grobe Schnitze von Brot und Bergkäse hinstellt. Dazu ein grosses Glas Wein und zwei Bier. Dann wankt sie wieder weg und überlässt uns unserem Nachmittagshunger. Ein wenig später wird sie wiederkommen und auf einem weiteren Tablett einen halben Kaufkuchen hinstellen. Der ist süss und bröselt, der Zucker tut den ausgelaugten Muskeln gut. Dann wird sie wieder mit steifen und angebluteten Beinen nach hinten pendeln und sich nicht mehr sehen lassen. Wir genießen die Sonne, die bald untergehen will. In ein paar Stunden vielleicht, aber für uns ist das jetzt ein "irgendwann", so stark bleibt die Zeit hier stehen. Nichts will sich schnell bewegen. .



Wir können es nicht mehr, weil uns der Wein und das Bier müde macht, und uns die Wanderung vorher aufgebraucht hat. Sie kann es nicht mehr und wird sich heute Abend wieder schwer atmend die Beine verbinden. Der Klang der Kirchenuhr herauf zur halben Anhöhe klingt als würde die Zeit zwischen zwei Glockenschlägen einfach stehenbleiben. Wir hängen am Tropf einer noch nicht geöffneten Bar, deren Wirtin noch vor der Zeit einen Käse und einen Kuchen aufschneidet. Sie wird uns dafür nie wieder weg lassen, wird uns einfach mit einer weiter ausholenden Schleife in ihre Bandagen einbinden und uns wie früher Kindern gleich kniehoch an ihren Beinen weiterschleifen. Und wir bleiben an ihnen festgeklammert. Langsam wird sie dann ins Haus zurück gehen mit uns und die Nacht erwarten, lange nach Fünf.