Hinauf.

Eines Tages, ich muss noch etwa acht Jahre alt gewesen sein, starb die ältere Großtante in Garmisch, und aus irgendeinem Grund nahm Vater zur Beerdigung nicht die übliche Route mit dem Wagen, fuhr nicht bei Oberammergau den Pass hinunter bis Oberau und weiter nach Partenkirchen. Er wählte die Strecke über Reute und Lermoos. Es war ein wolkenloser, famoser Oktobertag, und wir kamen bei Ehrwald an die mächtig sich auftürmende Zugspitze heran, sahen die gelben Blätter der Bergwälder mit dem leuchtend blauen Himmel durch das Seitenfenster des Wagens schimmern. Die weissen Felsen der Berge wirkten wie nicht von dieser Welt. Tante war in eine andere gegangen, das machte mich nicht traurig. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, habe nicht eine einzige Sekunde mehr von ihrer Trauerfeier in Erinerung, aber ich sehe noch die in unendlich grosse Höhe sich verlängernden Bergflanken in meiner Erinnnerung. Dass sie mir wie in den Himmel gewachsen vorkamen. Ich weiss nichts mehr von der Beerdigung und von der Traurigkeit, einen Menschen in die Erde zu entlassen. Aber ich spüre noch die Entrücktheit dieses Oktobertages und das Glück, das ich in mir hatte, als wir die vielleicht zehn Minuten hin und zurück an der Zugspitze vorbeiführenden Wege zogen, in denen ich einen so hohen Berg vor mir sah, den ich mir bis dahin noch gar nicht vorstellen konnte. Fast schien er mir in den Himmel zu wachsen. Dorthin, wo Tante angeblich gegangen war. Ich konnte sie mir da oben vorstellen, im gleissenden Föhnlicht stehen. In der Erde eingegraben schien sie mir nich zu liegen. Es konnte nur dort oben weitergehen. Alles andere kam mir schon angesichts der Zugspitze absurd vor.