Das Geiger


Das Geiger - Perle, Objekt, Schandfleck


Was passiert einem Hotel, wenn die Gäste ausbleiben? Das "Geiger" in Berchtesgaden zeigt musterhaft, was passiert, wenn der Tourismus wegbricht. Wer von Bischofswiesen nach Berchtesgaden fährt, kann "dem Geiger" beim Sterben zusehen. Das Hotel an der Berchtesgadener Strasse ist nicht zu übersehen: Ein denkmalgeschützter, mondäner Komplex in traumhafter Lage. In seiner Blütezeit galt das Hotel als eines der ersten Adressen Deutschlands - heute trägt seine Fassade die Züge einer Diva, die verbittert dem Verfall trotzt. Jahr für Jahr verschwinden seine Bauten weiter hinter wucherndem Grün, als zöge sich das Hotel verschämt in den Wald zurück.

 


Dass Berchtesgaden überhaupt Touristenort wurde, ist eher erstaunlich. Der Marktflecken war rau, unwirtlich, ungastlich. Münchner und Salzburger verirrten sich vor 150 Jahren selten in die ehemalige Fürstprobstei, denn die Anreise war lang und beschwerlich. Sommerfrischler fuhren lieber zum Tegernsee oder nach Murnau. Erst Caspar David Friedrich, Ludwig Richter und weitere Maler der Romantik machten den Watzmann bei Adel und Bürgertum populär.

 

1888

 

1888 kam die Eisenbahn, mit ihr die ersten Gäste. Hochfinanz und Hochadel entdeckten den aufstrebenden Kurort, der sich für seine Klientel pittoresk herausputzte. Auch der pensionierte Zollinspektor Hugo Geiger baute ein Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert zur Pension um. Die Lage war perfekt: Traumhafter Blick aufs Watzmann-Massiv, ein charmanter Park, Anreise ohne Strapazen, und das alles in Flanier-Distanz zum Marktflecken Berchtesgaden. 1866 eröffnete die Pension. 
Sie wurde schnell populär. "Das Geiger" galt als erste Adresse. Hier logierten Prinz Friedrich von Anhalt, Prinzessin Marie von Sachsen-Meiningen, die russische Prinzesson, Prinz Max von Baden und die niederländische Königsmutter Emma von Waldeck-Pyrmont. Die Familie baute aus, eine "Dependance" wurde wenige Meter vom "Alten Haus" errichtet. Im nächsten Jahrhundert nahmen Paul Heyse, Ferdinand Sauerbruch und Thomas Mann ihr Frühstück mit Blick auf den Watzmann ein. 1924 bekam das Hotel eine eigene Tankstelle - die erste im Ort. Im Dritten Reich übernahmen die Nazis das Hotel und verwandelten es in ein Erholungsheim der Luftwaffe. Als das tausendjährige Reich in Trümmern lag, logierten ab 1945 Amerikaner im Geiger (darunter auch ein Soldat Namens John Fitzgerald Kennedy), bevor es wieder in Besitz der Familie überging.

Das Objekt


Das Geiger besass nie die nüchterne Zweckmässigkeit und Perfektion moderner Hotels. Treppen und Böden knarzten ein wenig, die Armaturen waren verschnörkelt, die Wannen tief, das Gebäude verwinkelt, der nachträglich eingebaute Lift immer zu klein. Dafür war jede Schranktüre mit einem anderen Vogelmotiv bemalt, kein Raum glich dem anderen, im Kaminzimmer konnte man herrliche Abende verbringen, der Weinkeller war gut sortiert, auf den Biedermeiermöbel sass man gemütlich, der Service war exzellent - das alles erzeugte einen Charme, der so gar nichts mit dem bayerischen Gemütlichkeits-Kitsch zu tun hatte. Das Haus und seine Besitzerfamilie strahlten eine Grandezza aus, die heute nicht mehr erreichbar zu sein scheint. Wahrscheinlich, weil so eine Grösse nicht mehr zur heutigen Zeit passt - und sich vor allem nicht refinanziert. 
Die schiere Grösse - mehrere Gästehäuser und eine Parkanlage - wurde dem Hotel zum Verhängnis. In den Siebzigern lief alles noch gut, das Geiger war gut ausgebucht. In den Achzigern wurde ein Schwimmbad sowie - nicht sonderlich schönes - Bettenhaus dazu gebaut. Doch die Gäste kamen immer seltener nach Berchtesgaden - oder wohnten lieber in kleinen, billigen Pensionen. Ende der Neunziger hatte der Ort als Reiseziel nahezu ausgedient. Besitzer Stefan Geiger ging in die Offensive: Sternekoch, Tagungsräume, neues Konzept. Doch die Gäste blieben aus, der Unterhalt war kaum zu bezahlen. 1999 sahen sich die Familie - inzwischen in der fünften Generation - mit dem hässlichen Wort "Insolvenz" konfrontiert. 
Doch die Gäste kamen immer seltener nach Berchtesgaden - oder wohnten lieber in kleinen, billigen Pen- sionen. Ende der Neunziger das Hotel in finanzielle Bedrängnis. Berchtesgaden hatte als Reiseziel nahezu ausgedient - vor allem die Oberklasse-Hotels hatten zu kämpfen. Der Besitzer Stefan Geiger ging in die Offensive: Sternekoch, Tagungsräume, neues Konzept. Doch die Gäste blieben aus, der Unterhalt war kaum zu bezahlen. 1999 sahen sich die Besitzer mit dem hässlichen Wort "Insolvenz" konfrontiert.