Die Kommode der Kaiserin

Als Zofe der Kaiserin habe ich es gut. Ihre apostolische Durchlaucht weilen, wenn nicht in Wien oder auf Reisen, mit dem Gatten einmal jährlich hier. Und ich begleite das kaiserliche Ehepaar zur Kur. Die Radonquellen wegen. Das gute Wasser, direkt vor dem Kaisernof. Wie wohltuend das sein soll, sagt ihre apostolische Durchlaucht, seine Hoheit, Kaiser Franz Josef I immer. Und man habe hier ganz entspannt Zeit für die schönen ruhigen Staatsgeschäfte. Kein Wunder, denn auch seine Durchlaucht König Wilhelm I von Preussen beehrte uns mit seiner Anwesenheit des Sommers. Seit Jahren. Der Sommer an den Heilquellen ist wunderbar. Ich freue mich das ganze Jahr darauf.

Untergebracht bin ich im Hause ein wenig den Weg hinauf. Natürlich nicht ganz so prächtig, aber der Blick ins Tal ist auch hier fabelhaft von meinem Dachzimmer, nur wenige Schritte vom Kaiserhof entfernt. An manchen Jahren habe ich einen ganzen Nachmittag nur für mich. Seine kaiserliche Durchlaucht gibt mir dann frei, es ist ein nobler Zug von ihrer kaiserlichen Durchlaucht, unserer Kaiserin Elisbabeth. Sie sorgt sich um uns Zofen, wofür wir ihr sehr dankbar sind.

Vor ein paar Jahren hatte ich zudem das Glück, den Kammerdiener von König Wilhelm I von Preussen hier in Hause ebenda kennenzulernen. Es muss 1885 gewesen sein. Ja, es war 1885. Ein sehr sympathischer Mann, und bei all der Etikette, die es natürlich zu wahren gilt, kamen wir auch an einem dieser Nachtmittage hier ins Gespräch. Auch er bezig in diesen Sommertagen stets ein Zimmer in den oberen Stockwerken des Hauses. Man grenzte sich nicht allzu sehr an. Und man war sich gleich sehr zugetan, wenn man an diesem Nachmittag, während die kaiserlichen Paare auch ohne unsere Hilfe umsorgt waren, einen herrlichen Nachmittagstee lang in unverfängliche Plauderei geriet. über dieses und jenes natürlich. Eine Episode - natürlich in vollster Diskretion - konnte zur anderen finden und sich mit allerlei Lachen erzählen lassen. So stark schienen sich die Herrscherhäuser dann doch nicht zu unterscheiden. Jedenfalls, wenn es um unser beider Arbeit ging. Aber wie gesagt, man hielt sich zurück. Staatsgeheimnisse würden ihren Weg so nicht ausser Landes finden.

 

Es war ja nur ein von Jahr zu Jahr mehr herbeigesehnter Nachmittagstee vor dem Hause, mehr nicht. Bis zu dieser einen Gewitternacht in diesem Jahr. Man traf sich auf dem Gang. Karl, so heisst der Kammerdiener seiner Durchlaucht des preussischen Kaisers Wilhelm I, war sehr besorgt, mich dort zitternd vorzufinden. Ob denn alles in Ordnung sei. Weil ich mich offensichtlich fürchtete ob der Blitze und all der Donner. Und ehe ich es noch bejahen oder ablehnen konnte, spürte ich seine fürsorgliche Hand. Die mich taumeln, mich vergessen liess, wer wir waren, was uns zustand und was sich ziemt. Auf dem Gang könne man nicht bleiben. Er ging zu seiner Türe, ich bei ihm. Draussen stand der Himmel in einem ständigen Blitzen und Grollen, umschloss uns in seinem Lodern. Zärtlich bei all dem Getöse. Unvergesslich. Ich entschlich Karl erst des morgens. In die Sicherheit meines Schlafs. In den eigenen Räumen.

Während der nächsten Tage wagten sich unsere Blicke kaum zu kreuzen. Niedergeschlagen die Augen war mir doch danach, ihn zu suchen und die seinen auf mir ruhend zu wissen. Aber da war kaum etwas zu spüren. Fast schien mir das alles wie ein Traum, eine merkwürdige Begebenheit, die einem Gewitter und der Fantasie meiner Wünsche entsprungen zu sein schien. Bis ich die übernächste Nacht eines unter der Türe durchgeschobenen Kassibers gewahr wurde, der in wohl seiner Handschrift die wundervollsten Zeilen enthielt. Solch wundervoller Art, das ich diese immer noch in einem Umschlag bei mir weiss. Die ich noch geweckt vom Halbschlaf Wort für Wort wiedergeben könnte. Darin bat er mich, ihm doch zu schreiben. Auch ihm mein Herz zu öffnen. Wie gerne hätte ich vor ihm mein Ja ausgesprochen. Aber dazu war dieser Nachmittag schon vor Tagen gewesen, das Jahr neigte sich in seinem Kuraufenthalte dem Ende zu. So blieb mir nur ein im Vorbeigehen gehauchtes Ja, das er, so hoffte ich, verstand. Dann näherte sich uns allen die Abreise. Die Diener machten sich bereits zu schaffen, meine Kommode für den Weg in die Hofburg zurück wieder aus dem Dachzimmer zu schaffen. Auch sein Sach stand wohl bereit, wir hatten nicht einmal die Gelegenheit für ein Lebewohl und die Versicherung, dass man sich im nächsten Jahr wieder sehen werde. Die Abreise. Wien, Der Herbst in der Hofburg begann.