Leichtes Gepäck

Wo wir hinfahren, gibt es keinen Shop, kein Internet, keinen Handyempfang, kein Auto, keine Werbung, kein Fernseher, kein Radio, keine Nachrichten. Stattdessen Stein, Grün, Horizont. Wie rüstet man sich als bekennender Stadtmensch für so eine Ausnahmesituation?




Die Ausnahme planen

Wer meint, eine Reise beginne mit dem ersten Schritt vor die Türe, irrt. Sie beginnt mit einem flauen Gefühl: Man muss ja noch "Packen". Erst scheint man alle Zeit der Welt zu haben, die Reise in Ruhe vorzubereiten. Dann rückt der Termin irgendwie ruckartig näher... spätestens am Abend vor der Abfahrt wird das Packen zur Aufgabe, die sich nicht mehr negieren lässt.

Auf den letzten Drücker recherchiere ich Wetterberichte, surfe auf die Hüttenwebsite, drucke Landkartenausschnitte aus, konsultiere eine Packliste für Wander- und Reittrekking in Kasachstan. Bisschen übertrieben, schließlich geht es ja nur in die Lechtaler Alpen. Aber ohne Kasachstan hätte ich glatt mein Taschenmesser liegen lassen.

Der Rucksack steht gepackt im Flur. Doch weil es in ein neues, unbekanntes und vor allem entlegenes Wandergebiet geht, lärmt mein Kopf nachts weiter: Was habe ich vergessen? Nehme ich den doch den grö§eren Rucksack? Wird es kalt? Wie kalt? Packe ich noch einen zweiten Pullover oder den Schal ein?



Dinge machen es uns bequem

Im täglichen Leben haben wir's uns kommod eingerichtet. Wir sind für alle Eventualitäten gerüstet. Es fehlt es uns an nichts... und wenn wir das Gefühl haben, etwas zu vermissen, kaufen wir's eben im nächsten Geschäft. Eine gut geschmierte Industrie versucht wie ein freundlicher Versicherungsagent, eventuellen Ängsten, Verunsicherungen und Unwägbarkeiten vorzugreifen. Mit dem Erfolg, dass wir lauter Dinge kaufen, die wir eigentlich nicht brauchen.

Das funktioniert sogar bei so einer simplen Sportart wie dem Wandern ganz exzellent. Die Sportgeschäfte quellen über von Dingen, die uns gegen alle Eventualitäten absichern sollen. Gefederte Wanderstöcke entlasten umtrainierte Gelenke. High-Tech-Taschenlampen nehmen die Angst vor dem Dunkel. Ein Kompass hilft gegen die Orientierungslosigkeit (obwohl die Wanderwege perfekt markiert sind). Ein mildes, antibakterielles Reinigungsgel entfernt - so kein Wasser oder Seife vorhanden – 99,9% aller schädlichen Keime und desinfiziert die Hände. Sowas klingt toll. Genau wie das Alu-Sitzkissen. Das hält den Hintern warm, wenn man am Gipfel sitzt. Ob man den ganzen Kram wirlich braucht, sei dahingestellt.



Auch gemeinsam ist man planlos

Am nächsten Morgen wars dann soweit: Mit drei Berggefährten, die erfreulicherweise genauso planlos zu agieren schienen, gings ins Unbekannte. Mit der Gewissheit, irgendetwas Wichtiges zu Hause vergessen und dafür völlig Unsinniges gepackt zu haben. Es ist ja immer praktisch, einen Gurkenhobel dabei zu haben.

Inzwischen stehe ich in der Einöde. Links Berg, rechts Wiese, vor mir ein See. Das Wetter hat gnädigerweise Ende September noch gehalten. Der Rucksack wurde mit der Materialseilbahn auf die Hütte transportiert, während man 1.200 Höhenmeter absolviert.

Hier gibt es kein Sportfachgeschäft, in dem sich mal schnell ein antibakterielles Gel kaufen kann. Die Schutzhütte bietet nur kleine, bedruckte Wandermarken aus bemalten Holz, die einen an bestandene Abenteuer erinnern sollen. Ich widerstehe dem Drang, sie zu kaufen. Stattdessen stecke ich beim Wandern ein paar Steine ein, die ich sicher jahrelang in der Jackentaschen herumtragen werde. Dafür bin ich verdammt froh, den Schal eingepackt zu haben.

Was wichtig wird

Nach zwei, drei Tagen werden meine Bedürfnisse immer archaischer. Man freut sich auf eine Dusche, die die Bezeichnung "warm" verdient. Das Wasser sei kalt, erklärt die nette Hüttenwirtin mit gespielten Bedauern, der Solaranlage fehle gerade ein Teil. Hätte man das doch eingepackt, statt des Kopfhörers.

Doch ich bin froh um den ganzen Zivilisationsschnickschnack, den ich zu Hause gelassen habe. Zurückgeworfen auf die Grundbedürfnisse wird die Welt ganz einfach. Die Schuhe. Die Karte. Die Wasserflasche. Der Rucksack. Etwas zu Essen. Als Belohnung am Gipfel ein Stück Schokolade, das in der Bergluft nach Kindheit schmeckt. Mehr braucht man nicht. Und das ist schön.