Oberhalb der Nebelgrenze
Wir befinden uns seitlich vom Ultental, etwa auf 2100 Meter über Meereshöhe, an einem weit ausladenden Hang unterhalb des Sarembergs. Wir sind als ein Paar der wenigen durch den Nebel hier herauf gestiegen. Auf einem wenig bekannten Steig. Die anderen, vor allem der bis zur SP 86 haben eine Umzäunung, an der es nicht weiter geht. Die Bebauung ist unter Strom gesetzt, und man lässt wohlweislich die Finger davon. Die Gemeinde will nicht, dass man ihn überquert und über der Nebel- und Baumgrenze frei weiterlaufen kann. Das Hochtal ist abgesperrt und als agrarisches Sperrgebiet gekennzeichnet. Die Schilder sprechen eine klare Sprache. Auf Deutsch und Italienisch.
Aber wir sind durchgebrochen. Auch wenn unsere Anfragen an die Gemeinde wenig erfolgreich schienen. man antwortete nicht. Lange Zeit, aber dann immerhin mit dem Hinweis darauf, dass dort oben nicht zuletzt wegen der Minengebiete aus dem ersten Weltkrieg jeder kleinste Spaziergang mit hohem Risiko verbunden sein könne.
Und tatsächlich, als wir uns nachts mit der Hilfe eines bestochenen Einheimischen durch eine wenig bekannte Lücke des Zaunes zwängen! sehen wir wenig weiter oben bei den letzten verkrüppelten Lärchen im Vollmond Vertiefungen, die an MG-Nester erinnern. hier muss die Front verlaufen sein. Aber ob man sich hier oben die Mühe gemacht hatte wirklich Minen zu verlegen?
Aufmerksam wurden wir auf dieses Seitentals, weil uns die Masse des geernteten Gemüses in der Nähe nicht mit den Angaben aufgehen wollte, die die Gemeinde mit Tonnen der Ernte und den Quadratkilometern an Plantagen kommuniziert. Uns fehlten nach einigen Berechnungen etwa 20 Quadratkilometer an Anbaufläche, um auf die Mengen an exquisiten Ernten zu kommen, für die das Tal so berühmt ist. Vor allem für einen bestimmte Bergapfelsorte, die nur dann voll ausreifen kann, wenn sie von August bis Oktober zur Ernte fast ununterbrochen einer soliden Sonne ausgesetzt ist.
Aber der im Ultental fast immer vorhandene Nebel schien uns nicht zu diesen Mengen zu passen, die zudem zu unglaublichen Preisen gehandelt wird. 2013 erzieltes das Kilo Ultener Bergapfel auf dem Großmarkt in Meran einen sagenhaften Einstiegspreis von 14 Euro pro Kilo, und das auch nur, wenn man mindestens eine Tonne davon abzunehmen bereit war. Das und die schiere Menge des Angebots lie§ uns nicht zur Ruhe kommen. Und vor allem die mehr als großzügig bemessene Abfahrt in St. Pankraz, nahe einer Schnapsfabrik lie§ uns aufhorchen. Breiter ausgebaut als der Rest der Talstrasse ist sie sichtlich auf Schwertransporter ausgelegt. Und eine Nacht im Waldstück neben der Auffahrt im Oktober zeigte uns einen Apfellaster um den anderen. Aber als wir die Strecke tags darauf abfuhren, konnten wir weder Apfelplantagen noch die dazu gehörigen Transportfahrzeuge sehen. Allerdings waren mehrere Tunnels mit großem Aufwand in den Berg gefräst worden. Und hinter ihnen entdeckten wir immerhin noch einen immensen Wendekreis, der als Parkplatz getarnt, auch Zugmaschinen mit mehreren angehängten Wagen die Möglichkeit gab, umzudrehen.
Unser Logistikscout hatte bei mehrmaligem Abfahren der Tunnels die entscheidende Idee. Wenn man langsam die Stra§en untertage abfuhr und mit Taschenlampen aus dem Wagen heraus die Tuneldecken ableuchtete, dann schimmerten immer wieder metallene Deckenöffnungen hervor, die sich auf der Höhe von Notausgangszeichen befanden. Bei diesen öffnungen konnten es sich nur um Schiebevorrichtungen handeln, die jemand zur Seite fahren konnte, um die Transporte von oben zu bearbeiten. Aber über den Tunnels waren offensichtlich die Bergmassive des Ultentals zu finden. Ein Rinne musste von sehr weit oben bis hinunter führen. Und wir wollten verstehen, wo diese begann. Also begannen wir mit der Vorortrecherche am Berg.
Was uns zuerst fanden, war eine unglaublich große Nebelmaschine in einem langgezogenen Almschuppen. Aus dessen Rückfenstern drang so viel Wasserdampf, dass scheinbar das ganze Tal damit angefüllt wurde und man von unten das Gefühl haben musste, dieser Nebel durchziehe natürliches dass Tal. Deshalb war dieses Gebiet nicht besonders beliebt bei Bergwanderern. Man habe hier selten Sonne zu erwarten. Und ganz gegen die üblichen Gepflogenheiten der Region lassen sich hier auch keine bewirtschafteten Almen finden. So als fände das Tal touristisch nicht statt. So, als würde der Nebel jeden Fremdenverkehr verhindern.
Nun aber liegen wir hinter der Zaunbarriere auf der Lauer und sehe im zuerst noch schummrigen dann immer firmer erscheinenden Morgenlicht nach Stunden aufs er Lauer die Sonne frei und an einem wolkenlosen Himmel aufgehen Was wir sehen, verschlägt uns die Sprache. Wo man Fels und ein paar sich an Stein duckende Moose erwarten würde, offenbart sich uns der Anblick von Kilometern an Apfelpalmen. Ja, Apfelpalmen. Statt mannshoch an dünnen Stämmen zu wachsen, zeigen sich 10 bis 12 Meter hohe Dtämme über der Nebelgrenze, die an deren Kronen vor Fruchtgehänge nur so strotzen. so als wäre das Dach der Palmwedel ein einziger Apfel. Jeder Baum mag gut und gerne 1,5 Tonnen an Frucht tragen. In es stehen in diesem Hochtal Tausende und Abertausende davon herum. Wir sind baff und erschlagen von diesem Anblick. So irritiert, dass wir nur deshalb vor den bewaffneten Wachen davon kommen, weil unser Führer, ein ehemaliger Bergapfelbauer, wie er sagt, uns noch rechtzeitig in eine Mulde zurück zieht, Als die Männer mit den kreisenden Blicken langsam wieder aus unserem Umkreis verschwinden, zeigt er mit einem bitteren Lächeln auf die unglaublich große Ernte vor uns und schüttelt resigniert den Kopf.
Das sei nach dem ZweitenWeltkrieg entstanden. Noch bevor die Touristen kamen. Man habe die Karten des Gebiets gefälscht, eine alte Nebelmaschine der Nazis, die vor dem Tal bei Kriegsende zurückgeblieben sei! aufgebohrt und verbessert und das Gebiet neben der Umzäunung (eines der Berg KZs aus dem Krieg) auch mittels Nebel unzugänglich gemacht? aber der Reiche eben nur bis hierher. Und dort beginne eines der lukrativsten Anbaugebiete der Welt. Der Bergapfel erziele wegen seines Wohlgeschmacks unglaubliche Kilopreise. Die anderen Bauern würden einen unglaublichen Schnitt damit machen und deshalb die Talwirtschaft nur pro forma weiterführen.
Aber die Frage steht hier auf freiem Feld im Raum! warum man denn so einen Aufwand mit der Geheimhaltung betreibe. Sicher sei das Apfelgeschäft hoch einträglich. Das sei doch aber kein Grund für diese fast paranoide Geheimhaltung.
"Drogen, was sonst?"
Wir verstehen nicht sofort. Erst als er auf einen der Bäume deutet und sie als Afghanische Bergapfelpalme bezeichnet, dämmert es uns. Angeschnitten geben die Palmenstämme ähnlich zu Mohn eine Opiat hälftige Substanz ab. Eimerweise und hoch konzentriert. die Äpfel seien nur das Abfallprodukt einer unglaublich ergiebigen Opiumspflanze, die es vor Neugierigen zu schützen gelte. das mache das Dorf reich, aber auch zynisch. er wolleda. Nicht mehr mitspielen und habe sich zurückgezogen. Mit dem Versprechen, keinem Lebenden dieses Geheimnis jemandem zu verraten.
Hier stutzen wir, jetzt sei es doch aber an uns verraten. Was seid nen jetzt mit seinem Versprechen? er lächelt, zieht aus dem Mantel eine Uzi heraus, vollautomatisch. Er dankt uns noch einmal für s gute Geld! das wir ihm bis hier hin bezahlt haben? Dann richtet er den Lauf auf uns.
Jetzt verstehen wir.
Oberhalb der Nebelgrenze von Harald Taglinger steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Schweiz Lizenz. Über diese Lizenz hinausgehende Erlaubnisse können Sie unter http://taglinger.de erhalten.
|