Der Knödelstreit
Alles begann damit, dass die Reutealm jetzt auch Käseknödel auf der Karte anbot. Das war an sich nichts besonderes, denn schliesslich gehörten Käseknödel im Tal zu den Standardspeisen. Allerdings war dem Senner der Reutealm durchaus bewusst, dass sein Nachbar, die Rinsenalm, weltweit Bekanntschaft wegen ihrer unfasslich guten Käseknödel genoss.
Eine Kampfansage. soviel war klar.
Ein paar Tage lang nahm das der Platzhirsch gelassen, kein Röhren kam aus der Rinsenalm. Was sollte ein Knödeldilettant wie die Reutealm schon heben. man konnte ja nicht einfach hergehen und die weltnochbesseren Knödel machen. das ging irgendwie nicht auf. das war klar. Also ging man auf der Rinsenalm seinem Tagwerk nach, erfreute die Gästeschar mit den aufgetischten Köstlichkeiten und sonnte sich im Erfolg.
Bis dieses Schild an der Weggabelung zwischen den beiden Almen zu finden war und die Wanderer zaudern ließ.
Da stand:"2 Knödel zum halben Preis, jetzt mit doppelt soviel Käse."
Und das lie§, Qualität hin oder her, schon ein paar Wanderer mehr in Richtung Reutealm gehen. was sollte das denn auch mit den weltbesten Knödeln, wenn man auf der Rinsenalm nur eine halbe Portion mit sogar nur einem Viertel an Käse ergattern konnte. So gut konnten die weltbesten doch gar nicht gegen die auch ganz ordentlichen sein. Vor allem: es waren doch nur Käseknödel. in Suppe. Ein einfaches Gericht.
Drei Tage später, als die Reihen auf der Rinsenalm doch merklich zu lichten begannen, begann der Wirt zu sinnieren, und am Morgen darauf stand neben dem einen Schildd as andere, auf dem zu lesen war: "Original Rinsenknödel a la Frommage. Neu, jetzt mit Salat de Crou" , und darunter war sogar ein leicht gesenkter Preis neben einem offensichtlich dazu offerierten kleinen Bier zu sehen.
Das lie§ die Besucherströme deutlich wieder in die andere Richtung schwappen. Man war zufrieden auf der einen Seite. Die andere ärgerte sich nur umso mehr. Und sie rüstete auf. Das Schild an der Weggabelung musste einem neuen weichen, auf dem die neue Servierkraft unter dem Wort "Knödel" so vorteilhaft in Position gesetzt wurde, dass man wei§ Gott etwas denken konnte. Und das schien zu wirken, auch wenn Ludmilla züchtig angezogen die Bedienung der Gäste absolvierte und das aufgetischte Gericht keinen Tadel zulie§, aber nun auch nicht unvergesslich war.
Das der Rinsenalm nun auch nicht, denn jeder in Dorf weiter unten wusste natürlich auch, dass dieser angebliche Weltmeistertitel bei den Knödelweltmeisterschaften in Peru (2008) schlichtweg gemogelt war. Aber dagegen konnte die Reutealm auch mit einem richterlichen Beschluss nicht angehen, denn eine Knödelmeisterschaft war nicht schützenswert und auch ein angeblicher Titel deshalb auch nicht zu verbieten. Zumal die Rinsenalmwirtin in jenem Jahr wirklich in Peru war. wie sollte man belegen, dass es dort in einem kleinen Ort der Anden unter Auswanderern nicht wirklich eine Art von Weltmeisterschaftgegeb haben könnte. Also belie§ man es. Man vertraute einfach auf die Kraft von Angebot und Nachfrage. und auf das aggressive Marketing des Neffen, der die Reutealm ein paar Wochen vorher besucht hatte. Und es schien ja zu funktionieren. Auf jeden Fall bis auffällig viele Wanderer die "unglaublichen Knödel der Rinsenalm" zu loben begannen und allen anderen Gästen, die sich gerade an den Aussenbänken der Reutealm niederlassen wollten, den kleinen Fast vergessenen Höhenweg zwischen den beiden Almen zu empfehlen begannen, der in nur 10 Minute zur Rinsenalm führen würde. Tatsächlich Vertrauten zunehmend mehr Ankommende den gestreuten Gerüchten und machten sich sogleich auf den Weg hinüber. Auch als auffallend viele Knödel ungegessen und mit der lauten Bemerkung, die auf der Rinsenalm gegenüber seien viel besser zurück gingen, brauchte die Reutealm ein paar Tage, bis sie sah, verstand und reagierte.
Zwei Tage später hatten alle Gäste ihre Lichtbildausweise vorzuzeigen, bevor sie sich niederlassen konnten, und Wanderer, die nicht ganz koscher schienen oder durch ihren fremdländischen Dialekt auffielen, obwohl sie doch angeblich aus der Gegend kamen, wurden weggewiesen. Vorsichtshalber hatte jemand auch in einerNacht- und Nebelaktion den Höhenweg zwischen den Almen zuschieben lassen und sogar die Brücke über den Bach niedergerissen.
Das war aber alles nicht so schlimm, denn der Rinsenalmshuttle hielt Mündigkeit vor der Reutealm und beschallte mit Sonderangeboten via Megaphon so lange die Sonnenterrasse der Reutealm, dann immer mehr gerne einstiegen und sicherstellest zur Rinsenalm fahren liessen. Jedenfalls so lange, bis einmysteriöser Virus den Genuss der Weltmeisterknödel zu einem va banque Spiel machte. Die ersten Toten unter den Gästen brachten den Wettkampf in die überregionale Presse und lockte inzwischen mehr Schaulustige als wirklich Speisegäste an. Man setzte sich auf die Bergwiese zwischen die beiden Kontrahenten und betrachtete gespannt, wer denn nun mit welcher neuen Finte auf den anderen reagieren würde. Inzwischen wurden sogar Wetten angenommen, wer denn wem Gewalt antun würde, aber die Quoten waren ausgeglichen und die beiden Wirte waren Profis. Wenn sie sich doch einmal beim sonntäglichen Spaziergang sahen, dann grü§ten sie sich freundlich, erkundigten sich, ob denn das Geschäft schön Laufe und wünschte sich das Beste.
Aber in den Kellern hatten beide eine Aktionsgruppe aufgebaut, die mit täglich neuen Vorschlägen kam. Und die hatten es in sich. Denn auf Seiten der Reutealm arbeiteten inzwischen Marketingprofis aus Russland mit, die der Neffe in den Semesterferien eingeladen hatte, und die Rinsenalm konnte auf Profis der Südtiroler Widerstandsgruppen hoffen, auf deren Konten in den 60ern diverse Bombenexplosionen rund um Meran gingen.
Vermutlich waren sie es auch, die am Morgen des 13. August die Reutealm mit abgelaufenem Plastiksprengstoff aus alten Beständen in die Luft gehen lie§en, noch bevor die ersten hungrigen Gäste eintrafen. Glücklicherweise war auch sonst niemand dort verletzt worden, auch wenn man nicht unbedingt etwas in die Wege geleitet hatte, um sie zu schonen.
Kein Wunder, denn man war mit grossgewachsenen Cousins russischer Studenten und mehreren knurrigen Hunden auf dem Weg zur Rinsenalm, die scheinbar noch friedlich in der Morgensonne da lag.
Es war auch der Morgen, an dem die ersten vier neuen Schilder im Tal zu sehen waren. Von anderen Almen. Mit original Käseknödel, von Fusionknödeln und veganen Varianten to go. Eine Käseknödelwelle schwappt über das Tal.
Der Rest des Tages ist aus der Berichterstattung internationaler Blätter bekannt.
Der Knödelstreit von Harald Taglinger steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Schweiz Lizenz. Über diese Lizenz hinausgehende Erlaubnisse können Sie unter http://taglinger.de erhalten.
|