Shopping in Erschmatt
Den Konsum finden Sie vor der Kirche. Dazu begeben
Sie sich bitte ins Wallis, und zwar nach Leuk. Folgen
Sie den Wegweisern nach Erschmatt. Nach zehn kurvigen
Kilometern erreichen Sie den Ort. Steuern Sie auf
die Kirche zu, ist nicht zu übersehen. Da steht er schon:
Der Dorfladen, von den Einwohnern "Konsum" genannt.
Die Stra§e, auf der Sie kamen, gibt es erst seit
1957. Erschmatt ist eines der pittoresken Schweizer
Bergdörfer, deren Bewohner im Lauf der Jahrhunderte
harte, entbehrungsreiche Zeiten gesehen haben. Hier
leben dreihundert Seelen. Im Ort gibt es eine Kirche.
Ein Gasthaus. Eine Post. Eine Bank, die drei Tage pro
Woche nachmittags geöffnet hat. Den Bus, dessen Busfahrer
angerufen werden muss, wenn man den Ort verlassen
will.
Hier hat alles einen ruhigen, stetigen Gang. Nicht finden
werden Sie Wellnesstempel, Hotels, Geldautomaten
oder Shoppingmeilen. Erschmatt ist nicht "touristisch
erschlossen" und wird Jahre brauchen, um es zu
werden. Wenn die Bürger das überhaupt wollen.
Die Bewohner versorgen sich saisonal mit Obst, Wein
und Gemüse. Doch auch dem Erschmatter geht Milch,
Brot oder Zahnpasta aus. Dann marschiert er seit 1989
zum "Treffpunkt", wie sich das Geschäft auf seinen
Reklameschildern nennt. Der Laden ist etwa 70 Quadratmeter
gro§. Ganz klassischer Supermarktaufbau:
Drei Quergänge, Tiefkühltruhe, Frisch- und Brottheke
- wie man es aus unzähligen Ortschaften kennt. Modern,
blitzsauber und freundlich.
Hier kriegen Sie äpfel, Batterien, Butter, Glühbirnen,
Katzenfutter, Kekse, Konserven, Küchentücher, Nescafe,
Schokolade, Schreibhefte, Seife, Yoghurt und
die eben erwähnte Zahnpasta. An der Türe hängt ein
Schild, das auf die "Aktion Schweine-Filets" hinweist.
Ein einziges Schild. Jeder normale Supermarkt
ballert Sie mit hundert Sonderangeboten voll.
Das Spannende ist das Fehlen jeglicher aufregender,
neuer, hipper Produkte. Es gibt exakt, was die Kundschaft
verlangt. Zeitschriften und Magazine werden
in Erschmatt nicht angeboten. Stattdessen stecken in
einem Schuber Ankündigungen regionaler Veranstaltungen.
Kinderspielzeug? Lieber keine Bedürfnisse
wecken. Spielfilm-DVDs? Ist hier noch nicht so weit
verbreitet.
Trotzdem braucht sich das Sortiment nicht hinter Migros
oder Coop zu verstecken. "Genau kann ich es
nicht sagen", erklärt Inhaberin Margrit Marty, "aber
es werden mehr als 800 Posten sein. Manches haben
wir nicht vorrätig. Wir haben einfach nicht die Kundschaft
dazu. Aber am Freitag ist Bestelltag, Dienstags
wird geliefert. Gemüse und Fleisch können Sie auch
von einem Tag auf den anderen haben."
Ursula Messerli hilft seit 2008 im Laden aus. Die junge
Walliserin lebt "schon seit immer" in Erschmatt
und schätzt "das Klima, die Lage, die Umgebung."
Wie sieht es mit lokalen Produkten aus? "Dort haben
wir Ziegenkäse von der Bachalpe, Eier von Rottaven,
Hauswurst kommt von den Hochlandrindern." Dazu
passt der Wein aus der Gegend. Damit lassen sich auch
die Kühlschränke der Ferienwohnungen prima füllen.
Um nicht ins Tal fahren zu müssen, setzt man in
Erschmatt aufs Prinzip Solidarität: Der Supermarkt
arbeitet als Genossenschaft. Zweihundert Franken im
Jahr investiert jeder Erschmatter, um in den Ortsteilen
Erschmatt und Bratsch, wo die zweite, kleinere Filiale
zu finden ist, einkaufen zu können.
Die Zahlen lassen sich sehen: Seit 1989 macht das
Geschäft jährlich mehr als 900.000 Franken Umsatz,
600.000 in Erschmatt, 300.000 in Bratsch. Pro Kopf
gibt jeder Erschmatter jährlich also 2000 Franken im
Konsum aus. Der Laden kann sich so gegenüber den
gro§en Ketten im Tal behaupten. Einfach ist es aber
nicht. "Die Jungen nehmen das Auto und fahren in
die Supermärkte", meint Ursula Messerli. "Ich denke,
ältere Bürger schätzen den Komfort eines Dorfladens
mehr. 99 Prozent haben ihre eigene Wohnung. Sie wollen
hier alt werden. Die Jüngeren denken nicht so in
die Zukunft." An allem nagt der Zahn der Zeit. Auch
am dörflichen Konsum.
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