Andenken - warum das echte Bild den Gedankenort zerstört

An einem Überbleibsel der 70er lässt sich alles auf einem Blick sehen. Der Gangstock mit den Plaketten von alpinen Reisezielen. Gleich rechts neben der Kassiererin fanden sich immer die Motive von Bergen und Schlössern, gearbeitet aus bemaltem Zink, das mit zwei feinen Stiften in das Holz geschlagen wurde.

Schloss Linderhof, meinetwegen die Eiger Nordwand, auch Neuschwanstein. Mitbringsel haben diesen Moti- ven eine höhere Auflage beschert als es vermutlich jedes andere Bildmotiv aus Deutschland für sich reklamieren kann. Dabei scheint die grosse Welle der Kitschansichten mit der Vorgeneration vorbei gegangen zu sein. Aber mit dem Aufkommen von aussereuropäischen Touristen ziehen die Souvenirs wieder in die Kioske ein. Vor allem der Watzmann erfreut sich bei US-amerikanischen Reisenden einer Beliebtheit, wie er das letzte Mal zu Zeiten des Dritten Reiches hatte. Wenn Reisegruppen Èden FührerÇ sehen wollten. Und doch nur einen Zaun zu sehen bekamen. Vom Obersalzberg aus ist der höchste Gipfel am Königssee nicht zu sehen, und auf dem Kehlsteinhaus erscheint er auf der anderen Talseite in veränderter Perspektive. Die wenigsten würden ihn so erkennen. Nur bei der Einfahrt nach Berchtesgaden und an postkar- tengleichen Reisetagen sieht der Watzmann so aus, wie ihn schon Koch vor mehr als 150 Jahren gemalt hat. Ein Reisszahn, der in der freundlichen Sonne wie aus Plastik anmutet. So findet er sich mit einer in bundes- deutschen Farben gehaltenen Banderole auf dem Gangstock meines Vaters wieder. überhaupt scheinen eigene Werkstoffe für die Industrie der gebügelten Erinnerungen erfunden worden zu sein, so wie die künstliche Patina der Gebäude in Schneekugeln. Kein Plasti- lin würde den Regentag in Oberbayern nachbilden, der vielleicht die Reise zum müden Tag in einer Gaststäte degradierte. Es muss immer die Sonne auf wie würde- voll vermooste Dachsparren scheinen. So steht das Kehlsteinhaus in Wasser getaucht auf der Verkaufsauf- lage und lässt sich nur durch aufgeschüttelteltes Styropor ein wenig verbergen. An seinem Sockel, da wo konsequenterweise ein Hakenkreuz platziert werden hätte müssen, prangt der Bundesadler und schafft so noch einmal den Bezug zur Jetztzeit und dem merkwürdigen Namen, der für diese Verbauung von US-Soldaten gefunden wurde: Eagle's Nest. Das Adlernest.

So wie der Adler nicht mehr in der Alpen zu finden ist, so wie sich der Watzmann nur bei Sonne und an Früh- sommertagen mit dem Schnee des ausgehenden Winters vor Sommerwiesen zeigt, so kann niemand ein er- standenes Andenken aus diesem Tal erwerben und es neben die Wirklichkeit halten, die er gerade zu sehen meint. Jedenfalls nicht, ohne sich des Unterschiedes klar zu werden, den er eben eingesackt hat. So wie Neuschwanstein und Linderhof nur den Tagträumen eines lebensscheuen Monarchen zu verdanken sind, haben auch die Reisemitbringsel immer weniger mit dem zu tun, was die Wirklichkeit aus drei Bussen, die die Strasse zum Kehlsteinhaus hinauf stinken, vermuten lässt. Aber darum geht es ja gar nicht.

Worum es geht

Als mein Vater stolz seinen Gangstock vor sich her trug, ging es ihm nicht darum mit dem Präsentieren von Schlossminiaturen auf die Errungenschaften des Linderhof hinzuweisen - für das Siemens den ersten Stromgenerator Bayerns installierte. Oder auf den nicht vollendeten Bau von Neuschwanstein, dessen Bauherr die erste Unfallversicherung für Bauarbeiter in Deutschland abschloss. Es ging ihm auch nicht darum, das Kehlsteinhaus als letztes überbleibsel der dümmlichsten Gewaltherrschaft zu zeigen, die jemals auf Erden existiert hat. Ihn interessierte es nicht, dass der offene Kamin von Mussolini stammt und so banal dort im Gastraum herumsteht, wie der Andenken- stand mit seinen Eagle's Nest Energy Drink Dosen. Es war ihm wichtig zu zeigen: Ich bin dort gewesen. Ich habe einen Eindruck mitgenommen. Und in Gedanken ist dieser Eindruck zu einem Traum geworden. Von wunderschöner Einfalt. Von der Sonne, die über die Gipfel scheint, von Schlössern und hoch oben gebauten Sommerhäusern, die dem Paradies abgeschaut scheinen.

Es kann keine Wirklichkeit in Mitbringseln geben. Denn die Wirklichkeit wartet zu Hause, und das Stück Plastik in Glas soll ein Gegengift zum Alltag sein. Nur dann greift ein Besucher in sein Portemonnaie und er- wirbt einen Fetisch, der noch einmal das Klischee vom romantischen Traum in das eigene Wohnzimmer bringen soll. Nicht umsonst sind Schrebergärten voller Gartenzwerge und bergen in jeder zweiten Hütte eine Ansicht von Alpenregionen, die es so noch nie gegeben hat. Wo ein Traum zitiert wird, weil nicht einmal die Kraft zum eigenen Traum vorhanden ist, da finden sich Hirsche vor Wäldern, die kein Mensch allen Ernstes in Hohenschwangau vermuten würde.

Das Ende des Kitsches W

Der anhimmelnde Kitschblick auf das Kehlsteinhaus, der es neben einem urdeutschen Zinnkrug zum Spiel- zeughäuschen macht, bricht spätestens dann, wenn dieser Touristenmüll auf der kleinen Shoppingmeile neben dem Parkplatz zu kaufen ist, der auf dem Gelän- de des ehemaligen Berghofs steht. Unwillkürlich sucht man den Playmobil-Hitler oder den Nachbau seines of- fenen Mercedes vor der gemalten Pappschachtel, die den Königssee noch andeuten soll. Es fehlt die Göring-Knuddelpuppe und der sprechende Goebbels, den man an der ausgestreckten rechten Hand aufziehen kann, damit er eine seiner Sportpalastreden von sich gibt. Wie drollig. Es gibt eine Verniedlichung, die sich von selbst verbietet, so wie es nicht angebracht wäre, die Nachbildung eines KZs in eine Schneekugel zu packen. Das sagt sich so, aber es gibt Ansichtskarten mit dem Lager als Motiv, auf denen ÈViele Grüsse aus DachauÇ steht.

Auf den Gangstöcken unserer Vorgängergeneration finden sich Schlösser und Berge als ein kleines Idyll in Zink, als Abwehrzauber gegen die Realität, die vom Unrecht alter Systeme und von den siebzehn Toten während des Baus von Neuschwanstein sicher nichts aufkommen lassen soll. Ein Kiosk ist eine Instantvernebelungsmaschine. Ein Bierkrugdeckel mit einem Reichsadler daneben soll die gute alte Kaiserzeit in amerikanischen Wohnstuben zitieren, so wie deutsche Touristen die Insel von Capri in den 50ern nur in Sonnenuntergangslicht getaucht hatten sehen wollen. Niemand hätte damals ger- ne an die amerikanischen Landungsboote in der Nähe von Neapel gedacht. Es ging um die Fischer und um den Schmelz deutscher Schlager. Und so geht es heute bei Bierkrügen um die deutschtümelnde Trinkgemütlichkeit, die sich jemand aus Idaho gerne mit einem einfachen Kauf auf das Regal stellen will. So wie noch heute im Epcot Center der deutsche Pavillon von Disney vor allem aus deutschen Bierkneipen besteht. Das Kehlsteinhaus ist radikal enthistorisierter Ramsch in Touristenläden geworden, weil schon allein die Idee des Hauses von Bormann auf der gleichen bräsigen Idee des schnell gekauften Traumes basiert. Einer Idee von Idylle, die schon immer so oberflächlich war, weil sie nur schnell einen Schenkimpuls bedienen sollte. Eigentlich hat man ja nicht einmal vor, das Erstandene für das eigene Regal zu kaufen. Die Gangstockplakette ist für den Opa, das Kehlsteinhaus war von Bormann für Hitler gedacht. Und Hitler versteckte darin nur seine Endgattin, Eva Braun.