Alm

Die drei Männer kamen nach Mittag erschöpft an der Alm an. Der Regen, der langsam, von Höhenmeter zu Höhenmeter mehr in Schnee übergehend, sie nass und ausgekältet hatte laufen lassen, unterband schon Stunden vorher jeden Witz in ihren immer karger werdenden Unterhaltungen. Schweigend und erleichtert waren sie die letzten Meter gelaufen, kaum konnten sie das Holzhaus mit dem rauchenden Kamin sehen. Jetzt lehnten sie ihre Stöcke an die Aussenwand neben dem Eingang und betraten in aufkeimendem Glück die Hütte. Dort war es schon im Vorraum warm, ihre Jacken fühlten sich nur umso modriger und kälter an, sie öffneten sie erleichtert und traten ein zur Gaststube. Darin roch es nach Suppe und Fett, nach Wurst und Erbse, die Hitze des Kachelofens hatte die Kälte zurückgeworfen und liess die Fenster von innen feucht anlaufen. Hier, so hatten die Drei schnell ersehen, konnte es sich wohl über den Nachmittag aushalten lassen, bevor sie weiterziehen würden. Dann zumindest frisch gestärkt, um den Rest des Regentages zu überstehen und den übergang in das andere Tal zu schaffen. Sie setzten sich auf die Bank, fast neben den Ofen, und freuten sich auf etwas zu essen, einen warmen Tee. Sie begannen sogar wieder, sich Scherze zuzuwerfen.
Die Türe, wohl zur Küche, ging auf. Herein trat sie, mit einem neugierigen Blick, ein wenig geduckt, schon nicht mehr jung, aber wendig in der Art, wie sie zwischen den Tischen auf die Männer zu kam. Ein geradezu herzliches Hallo konnte man von ihr hören, und was man denn als Mittagessen wünsche, war ihre Frage. Sie nickte bei der Bestellung und würde mit drei Erbsensuppen samt großzügiger Wursteinlage, drei Jägertee und je einem Bier zurückkommen. Dann verschwand sie wieder, man war alleine in der Gaststube, die an den Wänden über und über mit kleinen Bildchen behangen war. Weil sonst nichts zu erwarten war und das plötzliche Sitzen in der Wärme allzu schläfrig werden liess, standen sie auf und sahen sich die gemalten Portraits von unterschiedlichen Männern in roh zusammengenagelten Rahmen genauer an. Was sie als Volkskunst aus dem vergangenen Jahrhundert erwartet hatten, schien zuweilen eher frisch erstellt. Auf manchen Bildern konnte man sogar ein Smartphone neben dem Ohr gehalten erkennen. So als ob Schnappschüsse abgemalt worden wären. Dutzende dieser Bilder säumten die Holzvertäfelung neben den Fenstern. Nicht einer der Männer, und es waren nur Männer, lächelte. Die Türe ging wieder auf, die Wirtin trat herein mit zwei dampfenden Tellern, stellte diese an die Bank direkt am Ofen. Dort war man zwar vorher nicht gesessen, aber ein warmer Rücken konnte ja auch nicht schaden, wenn man es sich bei einer heissen Suppe gut gehen liess. Sie lächelte, verschwand noch zweimal in der Küche, brachte den Dreien die Bestellung, stellte auch noch einen Korb mit Brot dazu. Man liess es sich nicht zweimal sagen und setzte sich, begann zuweilen gierig zu löffeln und die Teller fast wie Almglocken gleich bei jedem Eintauchen zum Klingen zu bringen. Es schmeckte herrlich, von allem von der überreich vorhandenen fetten Wurst, es wärmte auf, der Tee dazu tat sein übriges, und die Stimmung stieg beträchtlich. Als man sich inzwischen auch dem Bier widmete, kam sie zurück und deckte mit der Frage, ob es denn geschmeckt habe und man nun müde sei wie die anderen vor ihnen, lächelnd die gelehrten Teller und Tassen ab. Einer der Männer schaute auf. Was sie denn mit den Anderen meine und mit müde? Da lachte sie und deutete auf die Portraits an den Wänden. Sie stellte das Geschirr auf den Tresen im Gastraum und setzte sich an die Stirnseite des Ofentisches, schaute mit einem mal starr und pausenlos in die Gesichter der drei.

„Findet ihr mich schön?“

Das war eine merkwürdige Frage, und tatsächlich fiel ihnen nichts besseres ein, als plötzlich und gegen ihre eigentliche Absicht zu kichern. Das Lachen danach erreichte eine Spitze und flachte dann ab und verhallte. Es war still, sie schaute sie immer noch unentwegt an. Kein Mundwinkel verzog sich bei ihr. Die Frage blieb im Raum stehen wie ein Eisblock, schmolz keinen Millimeter dahin und wollte beantwortet sein. Was nun ein anderer tat, nicht ohne immer noch gegen ein unerklärliches Lachen anzukämpfen. Ob das denn einen Einfluss auf die Zeche habe, oder ob man dann gemalt werde wie die anderen, die da an der Wand hingen. Wieder ein Lachen von allen, wenn auch ein freundliches.

Sie hingegen hob an und erklärte tief ruhig in die Stille hinein, dass man bei einem Nein eher damit rechnen könne, wie die anderen von gestern in der Wurst zu landen. Da wurde es still. Es wurde still, weil diese Aussicht so gar nicht als Witz ausgesprochen wurde und sie sich auch nicht im geringsten darum bemühte, hier eine Zote zu reissen. Jetzt wurden auch sie mit einem Mal ernster, der Dritte verbat sich solche Witze und überhaupt auch solche Fragen, man sei hier Wandergast, nichts anderes. Und man wolle zahlen und dann weiter.

„Also nein, ihr findet mich nicht schön. Also dann…“

Man wollte aufspringen und merkte, dass die eigenen Gliedmassen zu versagen begannen, nicht einer konnte sich auch nur am Tisch aufrichten. Sie sah das und lächelte nun wirklich. Das sei ein ganz wunderbares Gift aus einer der Wurzeln hier im Latschenwald. Man schmecke es in der Suppe nicht. Entsetzt versuchten nun alle zumindest vom Tisch weg zu fallen und zu kriechen, da waren ihre Muskeln schon ganz betäubt, und sie sassen zusammengesackt am Ofen. Sie aber stand einfach auf, genoss den Augenblick, die Stille, wie die Stimmen der Männer versagten und sie wusste, dass sie noch hören, aber nicht mehr sprechen konnten. Sie ordnete noch einmal in Ruhe das Geschirr zusammen und schüttelte dann den Kopf. Hätte sie auch nur einer von ihnen hübsch genannt, hätten sie zumindest noch den Weg in eines der ölportaits gefunden, wären von ihr zum Andenken gemalt worden. Aber nicht alle, vor allem die, die ihr keine Komplimente machen wollten, würden so viel Glück haben. Sie würden einfach so im Wurstteig enden. Vor allem der Kleine von den Dreien sah schon jetzt nach guter Leberwurst aus.

Der Abend heute würde noch recht betriebsam enden. Sie seufzte trotzdem glücklich und wischte einem noch im Vorbeigehen den herunterlaufenden Speichel vom Mundwinkel. Dann schloss sie die Gaststube zu. Für heute war genug.

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Alm von Harald Taglinger steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Schweiz Lizenz.
Über diese Lizenz hinausgehende Erlaubnisse können Sie unter http://www.taglinger.de/ erhalten.



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